Zusammenfassung: Augustinus über das Gute und Böse

Der spätantike christliche Philosoph und Theologe Augustinus verortet das Gute und Böse nicht so sehr wie Platon und Plotin in den Dingen bzw. den Ideen, sondern vielmehr im menschlichen Individuum, genauer gesagt: in der Freiheit des Willens, lateinisch „liberum arbitrium“. Augustinus schreibt: „Es ist völlig klar, daß nicht die Dinge selbst zu beschuldigen sind, sondern die Menschen, die sie schlecht gebrauchen.“ (123) Wir kennen im Deutschen das Wort „arbiträr“, was so viel bedeutet wie „beliebig“. Gemeint ist damit unsere „Willkür“, also unser Vermögen, „nach Belieben“, d.h. nach individuellen Zwecken, zu handeln. In seinen „Bekenntnissen“ gesteht Augustinus, dass er in seiner Jugend ganz bewusst Birnen stahl, nicht, weil er sie besitzen wollte, sondern weil er das 7. Gebot, welches den Diebstahl verbietet, bewusst übertreten wollte. Als Beweggründe führt Augustinus „den Ekel vor der Gerechtigkeit und die Gier nach Ungerechtigkeit“ an. Sein Handlungsgrund war nicht „der Genuß an der Sache selbst“, sondern der Genuss an der Sünde selbst. Augustinus bekennt, boshaft gewesen zu sein „nur um boshaft zu sein“. Was ist der Grund für diese Handlung? Es scheint, dass sich Augustinus durch das 7. Gebot in seiner individuellen Freiheit „provoziert“ und eingeschränkt sah. Diese Einschränkung führte zu einer Gegenreaktion, er nahm „Anstoß“ am Gebot. Damit ist der christliche Denker Augustinus noch radikaler als der aufgeklärte Philosoph Immanuel Kant. Denn dieser hatte 1500 Jahre nach Augustinus die These vertreten, dass „ein schlechthin böser Wille“ nicht auf den Menschen „anwendbar“ sei, da dieser ansonsten „zu einem teuflischen Wesen gemacht werden würde“.

Augustinus argumentiert, dass die Lust (libido) „in jeder Art von bösen Taten herrscht.“ Der Unterschied zwischen gut und böse handelnden Personen besteht darin, dass erstere nur nach Dingen streben, die sie sicher besitzen können, während letztere sich an Dinge binden, die in der Gefahr stehen, wieder verloren zu werden. Deswegen meint Augustinus, dass das Böse dadurch entsteht, dass wir, um diese Dinge an uns zu binden, „alle Hindernisse“ beseitigen wollen, die einem sicheren Genuss dieser Dinge im Wege stehen. Nur der eigene Wille und die freie Entscheidung machen „den Geist zum Genossen der Begierde“. Doch bemerkt Augustinus, dass das böse Handeln einen Widerspruch in sich birgt. Augustinus wirft nämlich folgende Frage auf: „wie kann jemand willentlich ein unglückliches Leben erleiden, wenn schlechterdings niemand unglücklich leben will?“ Der Grund für unser böses Handeln ist so verfasst, dass wir uns nur in sehr seltenen Fällen unmittelbar für das Böse als Böses entscheiden. Vielmehr handeln wir nur mittelbar böse. Augustinus ist der Auffassung, dass wir zwar alle glücklich leben wollen, aber nicht die angemessenen Mittel dafür ergreifen wollen. Dies bedeutet, dass wir in bösen Handlungen zwar dem Glück zustreben, jedoch nicht auf die rechte Art und Weise. Es geht dabei insbesondere um die Frage, wie wir mit den Dingen in der Welt umgehen, es geht um ihren Gebrauch. Im unmoralischen Handeln verlieren wir unsere Autonomie gegenüber den Dingen in der Welt und werden ihnen heteronom ausgeliefert, indem wir uns von ihnen abhängig machen und uns von ihnen bestimmen lassen. Wer böse Handelt, der „hängt ihnen in Liebe an und verwickelt sich in sie; er ist nämlich diesen Dingen unterworfen, die doch ihm unterworfen sein sollten, und er macht sie für sich zu Gütern, während doch er selbst für sie ein Gut sein sollte, indem er sie ordnet und gut verwendet.“ Die endlichen Dinge lassen sich nicht beständig erhalten, deswegen verweisen sie auf andere Dinge, so dass wir unstet uns immer wieder nach anderen Dingen umsehen und in eine innere Unruhe verfallen. Wer Böse handelt, handelt heteronom und gibt seine Freiheit ab an die kontingenten Dinge. Wer böse handelt, der verstrickt sich in endliche Zusammenhänge und muss versuchen, das Endliche durch Lügen und sonstige Strategien beständig zu machen. Hier sehen wir, dass Augustinus das Böse durchaus mit Blick auf die veränderlichen Dinge bestimmt, ganz ähnlich wie Platon und Plotin. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, „daß nicht irgendeine Sache zu beschuldigen ist, wenn jemand sie schlecht gebraucht, sondern derjenige selbst, der sie schlecht gebraucht.“ (123)  Wer hingegen gut handelt, der verhält sich zu den endlichen Dingen nicht heteronom, sondern autonom: entstellen: „Vielmehr erhebt er sich völlig über sie, bereit, sie nötigenfalls zu besitzen und zu verwalten, und noch mehr bereit, sie aufzugeben und nicht zu besitzen.“