Zusammenfassung 12. Sitzung, 16.1.2020: Hegels Begriff des Triebes

Wie vor ihm Schelling, so denkt auch Hegel den Begriff des Triebes nicht so sehr im Rahmen einer Anthropologie und Moralpsychologie, betrachtet also den Trieb nicht so sehr von der individuellen Person her, sondern im Kontext eines umfassenden philosophischen Systems der Ontologie bzw. des „Geistes“. Hegel nennt dieses System auch „Wissenschaft der Logik“. Mit Logik ist damit keine formale und analytische Disziplin gemeint wie in der heutigen Zeit, sondern eine Metaphysik, die die begrifflichen Grundstrukturen der Welt in ihrem genetischen Zusammenhang aufzeigt, nach- und mitverfolgt. Wie Schelling in seinem System des transzendentalen Idealismus geht es Hegel darum, die Bestimmung des Willens zur Handlung ontologisch zu explizieren. Hegel behandelt den Begriff des Triebes vor allem im Rahmen seiner Theorie des „subjektiven Geistes“. Damit ist gemeint, dass der Trieb noch nicht im Kontext von objektiv moralischen Normen steht (das wäre der „objektive Geist“), sondern nur das freie Individuum in seiner Willkür betrifft. Hegel definiert den Willen als „die an sich seiende Einheit der Allgemeinheit und der Bestimmtheit“. Es liegt also im Wille wie bereits bei Schelling eine Art Widerspruch, der darin besteht, dass wir aufgrund unserer Freiheit beliebiges tun können, uns aber für etwas Bestimmtes entscheiden müssen. Zunächst ist der Wille nur Trieb und Neigung, und darin – ähnlich den von Harry Frankfurt so genannten „first-order desires“ – unmittelbar auf inklinierende Objekte gerichtet. Davon unterscheidet Hegel den „wissenden Willen“, der nicht etwa darin besteht, „seine immanente Bestimmtheit mit einem Äußerlichen zu vergleichen und die Übereinstimmung dieser beiden Seiten nur zu finden“. Vielmehr muss der reflexive Wille – mit Harry Frankfurt gesprochen, die „second-order volitions“ – nach Hegel „dazu fortschreiten, die Objektivität als ein Moment seiner Selbstbestimmung zu setzen, jene Übereinstimmung, seine Befriedigung, also selber hervorzubringen“. Damit ist gemeint, dass der Wille nicht von außen gegebene Optionen wählt, sondern eigene Zwecke autonom bestimmt und hervorbringt. Hegel bezeichnet diese „wollende Intelligenz“ als „Trieb“, den er wiederum bestimmt als „eine subjektive Willensbestimmung, die sich selber ihre Objektivität gibt“. Davon ist freilich eine Form von Willensbestimmung zu unterscheiden, die nicht nur subjektiv ist, sondern auch objektiv, insofern sie sich an moralischen und sittlichen Normen orientiert. Hegel unterscheidet den reflektierten Trieb von der bloßen Begierde. Die bloße Begierde steht „auf dem Standpunkt des noch nicht überwundenen Gegensatzes zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven“, bringt also Zwecke nicht selbst durch Gebrauch der Vernunft hervor, sondern ist abhängig von der Heteronomie durch eine „augenblickliche Befriedigung“. Der Trieb als „Form der wollenden Intelligenz“ hingegen betrifft nicht nur eine einzige Befriedigung, sondern „umfaßt eine Reihe von Befriedigungen, – somit etwas Ganzes, Allgemeines“. Er ist an einem durch Vernunft vorgegebenen Zweck orientiert und geht damit von „dem aufgehobenen Gegensatze des Subjektiven und des Objektiven aus“ – anders als die Begierde, der der Zweck durch die Natur von außen vorgegeben ist: „Es ist aber die immanente Reflexion des Geistes selbst, über ihre Besonderheit wie über ihre natürliche Unmittelbarkeit hinauszugehen und ihrem Inhalte Vernünftigkeit und Objektivität zu geben, worin sie als notwendige Verhältnisse, Rechte und Pflichten sind.“ Es geht also nach Hegel darum, über die Subjektivität der Triebe hinauszugehen, vom subjektiven zum objektiven Geist – der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat – überzugehen, „eine Entwicklung, in welcher der Inhalt der Selbstbestimmung die Zufälligkeit oder Willkür verliert.“