Zusammenfassung 13. Sitzung, 23.1.2020: Schopenhauers Begriff des Triebes

Schopenhauer versteht den „Willen zu Leben“ als das „innerste Wesen“ der Welt. Dabei möchte Schopenhauer den Willen zum Leben nicht hypostasieren und als abstraktes Prinzip – wie in seinen Augen Hegels Begriff des „Absoluten“ und „Unendlichen“ – fassen, sondern als „einzige unwandelbare und unbedingte Eigenschaft“ der Welt, ja als „das Allerrealste“, den „Kern der Realität selbst“. Der Wille zum Leben ist gewissermaßen transzendental: Er ist „das nicht weiter Erklärliche, sondern jeder Erklärung zum Grunde zu Legende“. Offen bleibt hier freilich, was genau Schopenhauer unter der Welt und der Realität versteht. Besitzen auch Steine und andere tote Materie einen Willen zum Leben? Schopenhauer bezeichnet den Willen zum Leben auch als „universellen Lebensdrang“. Dieser manifestiert sich in allen Lebensformen und Lebensvollzügen, wie etwa der Befruchtung von noch so kleinen und unscheinbaren Lebensformen. Indirekt wiederum manifestiert sich dieser Wille als Überlebenstrieb, und zwar dann, wenn „in irgend einer einzelnen Erscheinung aus dem Daseyn weichen soll“. Eng mit dem Willen zum Leben verwandt ist die Natur, die Schopenhauer der Anschaulichkeit personifiziert. Ihre „Absicht“ besteht in der „Erhaltung aller Gattungen“. Diese ‚Ökonomie‘ der Natur manifestiert sich etwa im „Geschlechtstrieb“ und in der „Mutterliebe“. Das Individuum „hat für die Natur nur einen indirekten Werth, nämlich nur sofern es das Mittel ist, die Gattung zu erhalten“. In ihrem „rastlosen Treiben“ und „ungestümen Drängen“ ist es unmöglich, darin einen konkreten Zweck zu erkennen, der über die bloße Erhaltung der Gattungen hinausgeht. Die menschliche Erkenntnis darf gegenüber diesem Lebenstrieb nur als „unbedeutend“ und akzidentell gelten. Schopenhauer vergleicht diese Überordnung der (stabilen) Gattung über ihre Individuen mit „(Platonischen) Ideen“ und „permanenten Formen“. Die belebte Natur zeigt sich dem Menschen jedoch nicht nur als theoretische Vorstellung und Erkenntnis, sondern auch als in uns selbst, „woselbst gerade die Natur, auf der höchsten Stufe, zu welcher ihr Treiben sich hinaufarbeiten konnte, angekommen, nun vom Lichte der Erkenntniß, im Selbstbewußtseyn“.