Zusammenfassung: Ethik der Computerspiele

Bevor wir den ethischen Status von Computerspielen bestimmen können, muss zuerst geklärt werden, was überhaupt Computerspiele sind und was es bedeutet, Computer zu spielen. Einer Ethik der Computerspiele muss daher eine Ontologie der Computerspiele vorausgehen. Folgende fünf Bestimmungen sind für Computerspiele (mindestens) möglich: Sie können (i) als Spiele, (ii) als (Neue) Medien, (iii) als Fiktionen bzw. Narrationen, (iv) als Simulationen und (v) als virtuelle Realitäten verstanden werden. Davon, wie wir Computerspiele verstehen, hängt am Ende auch ihre ethische Bewertung ab.

(i) Computerspiele als Spiele: Der Philosoph und Dramatiker Friedrich Schiller (1759-1805) hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich im Spiel die Freiheit des Menschen besonders manifestiert. Denn darin spielt der Mensch mit Wirklichkeit und Möglichkeit. Er ist einerseits an Regeln und die Wirklichkeit gebunden, doch gibt er sich diese Regeln mitunter selbst, indem er Realitäten simuliert oder fingiert. Spiele sind nie bloß willkürliche Phänomene, sondern regelgeleitete, häufig auch intersubjektiv organisierte Prozesse. Im Spiel entwirft sich der Mensch in seiner Freiheit, und im Spiel drückt sich die Individualität des Menschen aus. Hier stellt sich nun die Frage, worin die Besonderheit von Computerspielen etwa im Gegensatz zu Brettspielen wie Schach besteht. Der Unterschied scheint darin zu bestehen, dass die Freiheit des Computerspiels die Freiheit des Schachspiels qualitativ übersteigt. In Computerspielen manifestieren wir einen anderen Regelbezug, als wir es in Brettspielen tun, und die Form des Spielens ist qualitativ durch ihre Reibungslosigkeit und Vernetzung im digitalen Raum ausgezeichnet. Computerspiele scheinen aber mehr als nur Spiele zu sein.

(ii) Computerspiele als (neue) Medien: Das Wort „Medium“ kommt von lat. „Mitte“ und bedeutet so viel wie „Vermittlungsinstanz“. Inwiefern vermitteln Computerspiele etwas, und falls ja, zwischen wem? Computerspiele sind von Medien wie Filmen, Zeitungen und Büchern verschieden, da sie nicht nur passiv rezipiert und konsumiert, sondern aktiv gespielt werden. Spielen ist ein komplexes Wirklichkeitsverhältnis, und die mediale Seite tritt dahinter zurück. Oft erscheint es so, als ob die Praxis des Computerspielens in bloßer Rezeption und Konsum bestehe. Doch darf die reduzierte Körperlichkeit beim Computerspielen nicht zum Fehlschluss führen, dass darin keine Aktivität enthalten wäre. Dies verweist auf eine Besonderheit des Computerspiels, die in seiner speziellen Handlungstheorie und Virtualität besteht.

(iii) Computerspiele als Fiktionen: In Computerspielen werden wir mit fiktiven Gehalten konfrontiert und übernehmen auch fiktive Rollen. In Computerspielen bekommen wir eine Geschichte erzählt, schreiben die Geschichte aber auch individuell fort. Wir machen uns in Computerspielen die Fiktion zu eigen, bestimmen interaktiv selbst, wie die Geschichte aus- und weitergeht. Wir sind selbst irreduzible Teile des Computerspiels. Darin unterscheiden sich Computerspiele von Filmen und Romanen.

(iv) Computerspiele als Simulationen: In Computerspielen geht es nicht nur um Fiktionen, sondern auch um Simulationen, d.h. um Nachahmungen der Wirklichkeit. Beispiele dafür sind Flugsimulatoren oder Kampfsimulatoren. Wir selbst simulieren in Computerspielen jedoch nicht nur reale, sondern auch fiktive Handlungen. Eine Simulation einer realen Handlung etwa kann in Form eines Flugsimulators bestehen. Wir simulieren dabei z.B. die Handlung einer Pilotin, das simulierte Flugzeug zu landen. Eine Simulation einer fiktiven Handlung kann etwa in Form eines Rollenspiels bestehen. Wir simulieren die Handlung eines Magiers, und verzaubern eine andere simulierte Person in einen simulierten Frosch. Computerspiele existieren jedoch in der Spannung von Simulation und Fiktion: Wir wollen nicht nur simulieren, sondern darin auch mit der Wirklichkeit auf fiktive Weise spielen, ja neue Wirklichkeiten erzeugen. Wir simulieren in Computerspielen nie ausschließlich, sondern spielen mit der Wirklichkeit, d.h. wir fingieren sie. Die Handlung im Computerspielen besteht in dieser Spannung zwischen Simulation und Fiktion: Wir beanspruchen, indem wir Computers spielen, mehr zu tun als nur zu simulieren oder zu fingieren und beanspruchen dabei einen gewissen Wirklichkeitsbezug, der sich durch die Form des Spiels konstituiert.

(v) Computerspiele als virtuelle Realitäten: Wir simulieren nicht nur beim Computerspielen, sondern erzeugen auch neue Realitäten. Beispiele dafür sind Online-Multiplayer-Spiele wie „World of Warcraft“ oder „Horizon Worlds“. Es entstehen dadurch virtuelle Kulturen, die nicht angemessen durch die Begriffe „Simulation“, „Fiktion“ und „Illusion“ charakterisiert sind. Online (Spiel-)Kulturen sind virtuelle Realitäten eignen Rechts. Virtuelle Realitäten entwickeln sich sukzessive aus bloßen Spielen, Simulationen und Fiktionen, wenn die Regeln des Spiels intersubjektiv geteilt und institutionalisiert werden.

Computerspiele können insbesondere deshalb moralisch problematisch sein, weil in ihnen Gewalt auf eine explizite Weise verhandelt wird. Hier stellt sich die Frage, ob die Inhalte von Computerspielen nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Freiheit der Kunst gedeckt sind. Computerspiele sind mehr als nur Meinungsäußerungen und Kunstwerke, sondern Wirklichkeitsverhandlungen. Je mehr in einem Computerspiel Unmoralisches detailliert simuliert wird, desto moralisch problematischer erscheint es.

Betrachten wir zur genaueren ethischen Bestimmung des Computerspielens folgende Fälle:

  • In einem Buch werden moralisch problematische Handlungen erzählt fingiert.
  • In einem Film werden moralisch problematische Handlungen gespielt fingiert.
  • In einem Computerspiel werden moralisch problematische Handlungen selbst gespielt bzw. simuliert.

Der entscheidende Unterschied zwischen A, B und C besteht darin, dass in C eine Aktivität enthalten ist, die in A und B nicht zu finden ist. Zwar kann es in C eine fingierte vorgegebene Situation geben, innerhalb derer sich die simulierte Handlung vollzieht. Doch als Computerspiel liegt es an uns selbst, wie das Spiel weitergeht, d.h. auf welche Art und Weise das vorgegebene Setting modifiziert wird. Wir besitzen also in C gegenüber A und B, wo wir heteronom uns zum Medium konsumierend verhalten, eine gewisse Freiheit, einen Spielraum.

Hier stellt sich nun die Frage, welches moralphilosophische Paradigma sich am besten dafür eignet, um Computerspiele ethisch adäquat zu bewerten?

Deontologie: Wird die Würde der spielenden Person oder anderer Personen dadurch verletzt? Lassen sich die Motive, die den Handlungen im Computerspiel zugrunde liegen, vernünftig verallgemeinern?

Konsequentialismus: Sind die Konsequenzen des Computerspielens für die spielende Person und anderen Personen schlecht?

Tugendethik: Verschlechtert sich der moralische Charakter der spielenden Person durch das Computerspielen?

Wie die Digitalisierung allgemein, so stellt auch das Computerspiel ein pervasives Phänomen dar. Es hält Einzug in ganz verschiedene Bereiche unseres Alltags, wie etwa Schule und Hochschule, aber auch sonstige Arbeitsbereiche. Computerspiele gelten nicht mehr nur als Zeitvertreib und nutzlose „Spielerei“, sondern werden immer mehr als ästhetisch und philosophisch interessante Phänomene ernst genommen. Computerspiele sind nicht nur Spielereien und Konsum-Medien. Computerspiele sind vielmehr Experimentierfelder, auf denen ‚spielerisch‘ die Verhältnisse von Realität, Simulation, Fiktion und Illusion erprobt und verhandelt werden.

Da sich Computerspiele als komplexe Form von Wirklichkeitsbezug verstehen lassen, können wir sie insofern als eine Form von Philosophie verstehen, als in ihnen das Problem virtueller Realität ‚spielerisch‘ verhandelt wird. Im Computerspielen stellen wir komplexe Wirklichkeitsverhältnisse her. Im Computerspielen loten wir die ontologischen Grenzen von Wirklichkeit, Illusion, Simulation und Fiktion aus. Im Computerspielen loten wir aber auch die moralischen Grenzen von Wirklichkeit, Illusion, Simulation und Fiktion aus.