Zusammenfassung: Sidgwick und Moore

Henry Sidgwick kritisiert John Stuart Mills Theorie des Utilitarismus, da diese seiner Auffassung nach die Gültigkeit des Nutzenprinzips nicht genügend bewiesen habe. Sein Ziel besteht darin, dessen „Argumentation zu vervollständigen“. Es geht Sidgwick dabei um das problematische Verhältnis von Sein und Sollen, von Nutzen und Moral, von Natur und Wert. David Hume (1711-1776) hatte darauf hingewiesen, dass ein Schluss von deskriptiven Aussagen auf normative Aussagen nicht gültig ist. Der Utilitarismus sieht sich besonders mit diesem Problem konfrontiert, da er ja das (moralisch) Gute über konkrete, deskriptiv beschreibbare Tatsachen wie Nutzen und Freude erklären und begründen möchte. Sidgwick kritisiert, dass Mill das Prinzip „dass das allgemeine Glück wünschenswert ist“ in dem Sinne versteht, dass jeder Einzelne das allgemeine Glück durch sein Handeln erreichen sollte. Sidgwicks Argumentation hat folgende Form:

(1) Es existiert nur „eine Gesamtheit tatsächlicher Wünsche, die jeweils auf einen anderen Teil des allgemeinen Glücks gerichtet sind“, jedoch existiert damit noch kein tatsächlicher Wunsch nach allgemeinem Glück, der in irgendeiner Einzelperson existiert.

(2) Wenn ein solcher allgemeiner Wunsch nicht in einer Einzelperson existiert, dann auch nicht in einer Gesamtheit von Personen.

(3) Da es keinen tatsächlichen Wunsch nach allgemeinem Glück gibt, kann der Satz, dass das allgemeine Glück wünschenswert ist, nicht auf diese Weise begründet werden.

(4) Es bedarf für die Gültigkeit des Arguments noch der normativen Prämisse, „dass jeder moralisch dazu verpflichtet ist, das Wohl jedes anderen Individuums so sehr wie das eigene zu berücksichtigen“.

Sidgwick bemerkt, dass in Mills Argumentation „eine Verwechslung zweier möglicher Bedeutungen des Begriffes ‚wünschenswert‘“ enthalten ist: „(1) was gewünscht oder erstrebt werden kann und (2) was gewünscht oder erstrebt werden sollte.“ Aus der Tatsache, dass etwas einer Person Freude bereitet, folgt nicht, dass sie dieses Ziel auch erstreben sollte. Es ist nämlich durchaus möglich, dass diese Freude unmoralisch ist.

George Edward Moore (1873-1958) hat ebenfalls das Verhältnis von „gut“ und „nützlich“ genauer analysiert. Dabei gilt sein Interesse der Tatsache, „daß gewisse Wirkungen an sich besser sind als andere“: „Alle moralischen Gesetze […] sind bloß Feststellungen, daß gewisse Handlungsweisen gute Wirkungen zeitigen“. Moore wendet sich damit gegen die bisherige Tradition der Ethik, die nach ihm die Begriffe des Richtigen und Nützlichen als voneinander unabhängig betrachtet hatten. Er vertritt dagegen die These, „daß keine Handlung richtig sein kann, die nicht durch ihre Folgen gerechtfertigt wird.“ Daraus folgt nach Moore, dass der Satz „Ich bin moralisch verpflichtet, diese Handlung zu vollziehen“, identisch ist mit der Feststellung „Diese Handlung wird die größtmögliche Summe des Guten in der Welt hervorbringen“.