Zusammenfassung: Was sind kollektive Personen

In der Philosophie (und der Rechtswissenschaft) werden nicht nur individuelle (bzw. natürliche), sondern auch kollektive (bzw. juristische) Personen diskutiert. Kollektivpersonen stellen anders als ein bloßes loses Personenkollektiv eine handlungsfähige Einheit dar, deren Handlungen einem komplexen Willensbildungsverfahren unterliegen. Juristische Personen wie etwa Vereine besitzen Organe wie etwa einen Vorstand oder eine Mitgliederversammlung und können dank dieser handeln. Juristische Personen haben Rechte und Pflichten, und sie können z.B. eine Erbschaft machen. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist eine juristische Person als solche verantwortlich für den Schaden, den eines ihrer Organe (etwa ein Vorstand) verursacht. Dagegen haftet nach dem Strafgesetzbuch die „Organwalter“ als natürliche Personen für Straftaten, und nicht die juristische Person.

Wie aber verhalten sich genau individuelle und kollektive Personen zueinander? Diesbezüglich gibt es zwei Auffassungen. Nach der Fiktionalitätstheorie sind Kollektivpersonen bloße Konstrukte, deren Realität und Bedeutung nicht über die Summe ihrer einzelnen individuellen Mitglieder hinausgeht. Nach der Realitätsthese existieren Kollektivpersonen wirklich, und ihre Realität und Bedeutung geht über die bloße Summe ihrer einzelnen individuellen Mitglieder hinaus. Eine Umfrage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vorlesung kam zu folgendem Ergebnis:

Der Begriff einer kollektiven Person hat eine Vorgeschichte, die in der politischen Philosophie zu finden ist. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) vertrat die These, dass wir eine kollektive Person im Sinne eines staatlichen „Leviathan“ bilden können, indem wir ihm alle unsere Macht durch gegenseitige Verträge übertragen. Ganz ähnlich unterscheidet der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) zwischen einem Gemeinwillen und dem Willen aller. Der Wille aller ist eine bloße Ansammlung von Individualwillen und Privatinteressen, während der Gemeinwille in einer vernünftigen staatlichen und institutionellen Ordnung besteht, die uns erst Freiheit und Eigentum ermöglicht. In der neueren Debatte hat die US-amerikanische Philosophin Margaret Gilbert (*1942) den Begriff eines „plural subject“ geprägt. Darunter versteht sie den handlungswirksamen Zusammenschluss individueller Personen auf Basis gemeinsamer Verpflichtungen („joint commitment“). Wenn individuelle Personen im gegenseitigen Einvernehmen sich auf etwas verpflichten und dann danach handeln, dann handelt das Pluralsubjekt als eine Einheit. Eine gegenseitige, gemeinsame Verpflichtung ist nach Gilbert insofern holistisch, als sie nicht ohne Bedeutungsverlust auf die individuellen Verpflichtungen reduziert werden kann. Kollektivpersonen existieren so lange, wie die gemeinsamen Verpflichtungen bestehen bzw. sich ihre Mitglieder danach richten. Auf Basis von kollektiven Verpflichtungen entstehen Formen kollektiven Beabsichtigens und kollektiven Handelns. Im Gegensatz zu Handlungen von individuellen Personen sind Handlungen kollektiver Personen träge und weniger spontan, da sie durch verschiedene Verfahren und Institutionen legitimiert, koordiniert und durch Organe ausgeführt werden müssen, und dies auf Basis von individuellen Personen, die selbst wiederum als solche sich verpflichten, beabsichtigen und handeln. Kollektivpersonen können sich erweitern (wachsen) oder verkleinern (schrumpfen), je nachdem, wie viele Mitglieder sie haben. Kollektivpersonen existieren so lange, wie die gemeinsamen Verpflichtungen bestehen bzw. sich ihre Mitglieder danach richten. Sie hört dann auf zu existieren, wenn eine gemeinsame Identifikation und Verpflichtung der Mitglieder nicht mehr existiert. Im Gegensatz zu individuellen bzw. natürlichen Personen besitzt daher eine Kollektivperson keine würde und ist, wenn überhaupt, dann nur aus einem ökonomischen oder kulturellen, nicht jedoch aus einem moralischen Grund schützenswert.