Zusammenfassung, 5. Sitzung, 8.5.2018: Descartes und Montaigne über Tiere

In seiner Schrift Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung (1637) widmet sich Descartes (1596-1650) der Frage, ob Tiere einen Geist besitzen. Er vertritt darin die provokative These, dass Tiere, da sie nicht über Vernunft verfügen, prinzipiell nicht von Maschinen, die ihre Lebensfunktionen übernehmen, unterschieden werden können. Diese Vorstellung veranschaulicht folgendes Modell:

Die Ente besteht demnach aus einer mechanischen Schnabelöffnung, einer künstlichen Speiseröhre, verschiedenen Zahnrädern im Innern und einem Ausgang. Sie ist nichts anderes als eine Input-Output-Maschine, die auf bestimmte Reize reagiert. Der Mechanismus der Maschine und das Lebensprinzip der Ente sind deswegen nach Descartes prinzipiell erkenntnistheoretisch von Außen nicht unterscheidbar. Anders verhält es sich nach Descartes bei Menschen, da diese nicht nach bloßen Input-Output-Mechanismen funktionieren, sondern flexibel auf bestimmte Situationen reagieren, indem sie Zeichen der Äußerung kombinieren und darin eine bestimmte Form von Freiheit an den Tag legen. Im Gegensatz zu bloßen Maschinen verfügen Menschen über das Vermögen der Vernunft, welches Descartes als „Universalinstrument“ bezeichnet: Der Mensch unterscheidet sich demnach vom Tier nicht durch eine besonders große Anzahl an zusätzlichen Organen, die ihm seine Flexibilität erlauben, denn er hat wie alle Säugetiere dieselben. Vielmehr ist es die spezifische rationale Form oder Organisation dieser Vermögen, die den Menschen flexibel handeln lassen. Der Mensch kann also deswegen nach Descartes prinzipiell keine Maschine sein, weil diese, um ihm ähnlich zu sein, eine fast unendliche Anzahl an Organen benötigen würde, um allen Situationen gerecht werden zu können. Descartes spricht deswegen Tieren grundsätzlich Verstand ab. Es ist seiner Theorie nach die Natur, die durch die Tiere handelt. Die Tatsache, dass Tiere bestimmte Fähigkeiten besitzen, die denen des Menschen überlegen sind (wie z.B. Adleraugen), ist kein Grund, sie als dem Menschen überlegen zu betrachten. Denn sie sind vielmehr auf eine bestimmte Lebensform spezialisiert, und in den meisten übrigen Fähigkeiten dem Menschen unterlegen. Eine solche mechanistische Auffassung von Tieren ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Denn das Beispiel von Raben zeigt, dass sich diese sehr wohl flexibel an neue Situationen anpassen können, indem sie etwa Instrumente bauen, um an Futter zu gelangen, wenn ihr Schnabel dazu nicht ausreicht.

Michel de Montaigne (1533-1592) hingegen vertritt hinsichtlich des Status von Tieren eine Descartes geradezu diametral entgegengesetzte Position.  Er unterstellt dem Menschen anthropozentrische Arroganz, die dazu führe, dass er sich den Tieren überlegen fühle. Dagegen macht er zunächst epistemologische Schranken geltend: „Wie, erkennet er denn durch die Stärke seines Verstandes die innerlichen und verborgenen Regungen der Thiere? Aus was für einer Vergleichung zwischen uns und ihnen folgert er dann die Dummheit, die er ihnen beyleget? Wer weiß, wenn ich mit meiner Katze spiele, ob sie sich die Zeit nicht mehr mit mir vertreibt, als ich mir dieselbe mit ihr vertreibe? Wir treiben wechselweise mit einander Possen. […] Warum liegt der Fehler, welcher den Umgang zwischen uns und ihnen hindert, nicht eben so wohl an uns, als an ihnen? Es ist noch nicht ausgemacht, an wem der Fehler lieget, daß wir einander nicht verstehen: denn wir verstehen sie eben so wenig, als sie uns verstehen. Sie können uns aus eben dem Grunde für unvernünftig halten, aus welchem wir sie dafür halten. Es ist kein großes Wunder, wenn wir sie nicht verstehen.“ Montaigne verweist in diesem Zusammenhang auf das lebensweltliche Phänomen des Verstehens: „Wir verstehen mittelmäßig, was die Thiere haben wollen; und fast eben so gut verstehen auch uns die Thiere. Sie schmeicheln, sie drohen, sie ersuchen uns: und dieses thun wir auch gegen sie.“ Es ist also nicht notwendig, dass Tiere eine Sprache sprechen, indem sie bestimmte Laute artikulieren. Vielmehr findet ihre zeichenhafte Kommunikation über ihren ganzen Körper statt: „Ihre Bewegungen reden“. Es bedarf deswegen einer bestimmten Hermeneutik, die aus Ausdrucksfläche nicht auf menschliche Kommunikation festgelegt ist, sondern den gesamten Raum tierischer Existenz in den Blick nimmt. Offen bleibt hierbei freilich die Frage, ob diese körperliche Kommunikation begrifflich verfasst ist und wie flexibel ein bewegender Körper ist, um als Sprache im engeren Sinne gelten zu können.