Zusammenfassung Seminar „Geist der Tiere“ (3. Sitzung, 24.4.2018)

Die Frage nach dem Geist der Tiere ist deswegen so zentral, weil man sich hier mit einer besonderen Art von erkenntnistheoretischer Problematik befasst: Nicht nur handelt es sich dabei um die Frage nach dem problematischen Zugang zu Fremdpsychischem, sondern auch um die Frage nach dem Zugang zu Fremdpsychischem einer anderen Lebensform. Auch praktische und normative Fragestellungen nach der Schutzwürdigkeit von Tieren hängen von diesen theoretischen Fragestellungen nach dem mentalen Status ab. Der weibliche Gorilla Koko, Jahrgang 1971, darf als eines der intelligentesten Tiere gelten. Francine Patterson, Präsidentin der „Gorilla Foundation“[1] an der Stanford University, ist es gelungen, Koko eine Art Gebärdensprache beizubringen. Eine Videodokumentation zeigt Koko in verschiedenen Situationen mit Patterson.[2] Koko scheint sich im Spiegel zu erkennen, spielt mit einer Handpuppe und kommuniziert mit Patterson über verschiedene Fragestellungen. Daraus scheint zu folgen, dass Koko über Selbst- und Rollenbewusstsein verfügt. Es scheint, dass es Patterson gelungen ist, ein „Fenster“ zum tierischen Fremdpsychischen zu öffnen und in eine Art von intellektuellem Austausch getreten zu sein. Aber besitzt Koko damit schon so etwas wie einen Geist? Dominik Perler und Markus Wild haben vier Eigenschaften des Geistigen unterschieden, die eine Zuschreibung rechtfertigen würden: (i) (phänomenales) Bewusstsein, (ii) intentionale Zustände, (iii) Sprache und (iv) logisches Denken.[3] Hier stellt sich die Frage, ob alle Eigenschaften gemeinsam vorliegen müssen, oder ob eine Kombination davon oder auch nur eine einzelne die Annahme von Geistigkeit rechtfertigen. Beim Versuch, diese Eigenschaften zu identifizieren, unterliegen wir jedoch einem doppelten Problem des Anthropozentrismus: Zum einen neigen wir als Menschen dazu, tierisches Vorkommen von Geistigem zu ignorieren, weil wir nur auf uns konzentriert sind und alles an unseren menschlichen Maßstäben messen. Zum anderen neigen wir dazu, menschliche geistige Zustände in tierisches (und pflanzliches) Leben hineinzuinterpretieren, selbst wenn es dort eigentlich nicht vorkommen sollte. Es scheint, dass wir uns unserem Anthropozentrismus nicht herauskommen. Selbst die Annahme eines neutralen Betrachters ist die menschliche Annahme eines neutralen Betrachters. Von diesen vier genannten Eigenschaften scheint besonders die Sprache geeignet zu sein, das faktische Vorliegen von Geistigem bei nichtmenschlichem Fremdpsychischem zu identifizieren. Es stellt sich also die Frage, ob Koko wirklich über eine Sprache verfügt. Diese Frage hängt freilich davon ab, was wir genau unter „Sprache“ verstehen. In einem schwachen Sinne – als Kommunikationsmittel und Kommunikationsfähigkeit – ist dies zweifelsohne der Fall. Ein anspruchsvollerer Sprachbegriff hingegen, der semantische und syntaktische Dimensionen einschließt, setzt voraus, dass die Verwendung von Zeichen flexibel und unkonditioniert geschehen kann. Außerdem besteht eine komplexe Sprache aus semantischen und syntaktischen Dimensionen. Es käme also darauf an, dass sich Koko in verschiedenen Kontexten und gegenüber unterschiedlichen Personen frei artikulieren kann und dass die Verwendung von bedeutungstragenden Zeichen regelhaft strukturiert ist. Hierzu sind weitere Experimente notwendig, die dann immer einer kontroversen philosophischen Diskussion bedürfen. Denn Experimente sprechen nie für sich selbst, sondern nur dann, wenn angemessene erkenntnisleitende Kategorien und Fragen an sie herangetragen werden. Methodologisch scheint es aufgrund des menschlichen Anthropozentrismus sinnvoll zu sein, gegenüber dem Vorliegen von geistigen Eigenschaften bei Tieren (und Pflanzen) zunächst skeptisch zu sein. Es stellt sich hier immer die Frage, ob es nicht eine einfachere und ontologisch ‚schlankere‘ Theorie gibt, die dieselben Phänomene genauso gut erklären kann wie unter der Annahme geistiger Akte. Eine solche Maxime gehorcht dem Prinzip der „Ontologischen Sparsamkeit“. Es werden nur solche Entitäten postuliert, die unbedingt notwendig für die Erklärung bestimmter Phänomene sind. Ansonsten werden sie hypothetisch für nicht existent gehalten. Perler und Wild bemerken dazu am Beispiel des ‚geistigen‘ Zustands von Ameisen: „Ameisen zeigen ein Verhalten, das auf den ersten Blick intelligent erscheint: Sie entfernen tote Artgenossen aus ihrer Kolonie und verhindern so die Ausbreitung von Krankheiten. Heißt dies, dass sie ihre Artgenossen als tot erkennen? Bedeutet dies sogar, dass Ameisen über einen rudimentären Begriff von Tod verfügen und diesen auf die Artgenossen anwenden? Wir mögen vielleicht versucht sein, ihr Verhalten mit Rekurs auf diskriminatorische intentionale Zustände (x als F erkennen) oder gar mit Bezug auf Begriffsverwendung zu erklären, genau wie wir dies bei Menschen tun. Doch dann tappen wir in die Falle des Anthropomorphismus. Empirische Forschungen haben nämlich gezeigt, dass Ameisen einfach auf eine bestimmte Säure reagieren. Bestreicht man lebendige Artgenossen mit Ölsäure, schleppen sie diese ebenfalls weg. Somit wäre es unangemessen, ihnen intentionale Zustände und damit in dieser Hinsicht einen Geist zuzuschreiben. Das angeblich intentional gesteuerte und intelligente Verhalten stellt sich als ein Reiz-Reaktions- Muster heraus. Ein Anthropomorphismus lässt sich nur vermeiden, wenn man die Maxime befolgt, die der Psychologe und

 

Verhaltensforscher C. Lloyd-Morgan bereits 1894 formulierte: ‚In keinem Fall sollten wir eine Handlung als das Resultat der Ausübung eines höheren geistigen Vermögens interpretieren, wenn sie auch als das Resultat eines Vermögens interpretiert werden kann, das in der geistigen Skala weiter unten steht.‘“ (16)

Methodologisch müssen deswegen die Experimente so eingerichtet werden, dass alle möglichen Formen von Konditionierung und strikter Determination ausgeschlossen werden können. Dies erfordert einen hohen Grad an Flexibilität und ‚Freiheit‘. Eine solche geistige ‚Freiheit‘ des Tieres würde sich auch anhand seines Verhältnisses zu seiner Art zeigen. Es wäre nicht nur ein Mitglied, das einem gemeinsamen Zweck unterworfen ist, sondern müsste seine eigene Individualität in besonderer Weise demonstrieren.

[1] http://www.koko.org

[2] https://youtu.be/8oh1uhrdc6w

[3] Dominik Perler/Markus Wild: „Der Geist der Tiere – eine Einführung“. In: Dies. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/M. 2005, S. 10-47.