Zusammenfassung: Plotin und Augustinus Gut und Böse

Der Neuplatoniker Plotin (205-270 n. Chr.) steht in einer platonischen Tradition. Er vertritt die Auffassung, dass das Gute (agathón) und das Eine (hén) aufs Engste miteinander verbunden sind. Das Eine ist begrifflich in sich homogen und nicht differenziert, weshalb es sich als das Erste oder Absolute eignet. Das Eine gibt allen Dingen ihre Einheit, und sie können nur deswegen existieren. Es ist das ontologische Prinzip. Das Gute hingegen ist das Erste in einem normativen Sinn. Es ist dasjenige, was allem anderen vorzuziehen ist, eben weil es gut ist. Es ist damit der Flucht- und Zielpunkt aller unserer Strebungen. Aufgrund dieser Transzendenz des Einen und Guten vertritt Plotin die Auffassung, dass es sich gar nicht wissenschaftlich, d.h. begrifflich fassen lasse. Denn die Begriffe zergliedern ihren Gegenstand, was aber im Falle des Einen und Guten gar nicht möglich ist. Es bleibt deswegen nur die Möglichkeit, das Eine und Gute mit unserem Intellekt (nous) zu „schauen“, was eine unmittelbare Wahrnehmung bedeutet. Plotin charakterisiert das Gute als „mangellos, sich selber genug, nichts bedürfend, aller Dinge Maß und Grenze, aus sich selbst Geist und Wesenheit und Seele und Leben und geistige Tätigkeit spendend“, und auch als „schön“. Das Böse ist dagegen nach Plotin in dem Nichtseienden zu finden, ähnlich einem „Bild des Seienden“. Anders als das Gute ist das Böse „Maßlosigkeit […] gegenüber dem Maße, Unbegrenztes gegenüber der Grenze, Ungestaltetes gegenüber dem Gestaltenden, stets Bedürftiges gegenüber dem Selbstgenügsamen, stets unbestimmt, nirgends feststehend, all-leidend, ungesättigt, gänzlich Armut“. Das Böse ist das „mit fremdem Schmuck geschmückte, nichts gutes an sich habende Etwas, das ein Schattenbild des Seienden“ ist. Plotin erwägt, von einer „Wesenheit“ des Bösen zu sprechen, stellt sie aber gleich wieder in Frage, da eine Wesenheit seiner Theorie nach immer auf das Eine und damit auch auf das Gute bezogen wäre. Plotin erblickt das Böse in den materiellen Körpern, da sie keine „wahrhafte Form“ haben, sondern der Veränderung unterliegen und sich gegenseitig vernichten. Plotin bestimmt im Ausgang von Platon die böse Seele als durch „Maßlosigkeit, Übermaß, Mangel“ und auch „Zügellosigkeit und Feigheit“ charakterisiert. Sie ist der Grund für „falsche Meinungen“ und „unfreiwillige Leidenschaften.“ So wie der „Mangel des Guten“ die „Ursache für das Sehen der Finsternis“ ist, so besteht das Böse der Seele in im Mangel. Das Böse ist jedoch nach Plotin nicht nur irgendein Mangel am Guten, sondern liegt in dem „schlechthinnigen Mangel“. Nach Plotin ist dies bei der Materie der Fall.

Augustinus (354-430) hat in seiner Abhandlung De libero arbitrio („Vom freien Wahlvermögen“) zentrale Unterscheidungen bezüglich der Frage nach dem Wesen und der Herkunft des Bösen eingeführt. Seine Philosophie des Bösen hängt aufs Engste mit theologischen Problemen zusammen. Die Leitfrage, die in dieser Schrift erörtert wird, lautet: „unde male faciamus“ (frei übersetzt mit: „Was ist der Grund des Bösen“). Die Fragepartikel „unde“ („woher“) kann mindestens auf zwei Arten verstanden werden: Zum einen im Sinne des Erfragens der Herkunft, zum andern im Sinne der Handlungsart des Bösen.  Gleich zu Beginn unterscheidet Augustinus ferner zwischen zwei Verwendungsweisen von „böse“ (malum): „Zum einen sagen wir, jemand habe etwas Böses getan, zum andern, etwas Schlechtes sei erlitten worden.“ (75) Hier wird bereits die Unterscheidung von physischem und moralischem Schlechten (malum physicum und malum morale) deutlich. Die augustinische Theorie des Bösen basiert auf der theologischen Prämisse, wonach Gott nicht die – mittelbare oder unmittelbare – Ursache des Bösen sein kann, denn er ist allgütig und allmächtig. Es stellt sich für Augustinus folgende Frage: „Gibt es also einen anderen Urheber desjenigen Übels, das […] nicht von Gott verursacht wird?“ (75) Hier bieten sich unmittelbar zwei Möglichkeiten an: Das Böse könnte von einem dem Guten (bzw. dem Licht) diametral entgegengesetzten metaphysischen Weltprinzip (dem Dunkel) stammen (im Sinne eines Dualismus bzw. Manichäismus). Augustinus lehnt jedoch einen solchen Dualismus ab, da dies die Allmächtigkeit Gottes beschränken würde. Somit kann das Böse nur auf den Menschen selbst zurückgeführt werden. Es verlagert sich also die Frage von der Ontologie (bzw. der Existenz) des Bösen, wie sie bei Plotin im Zentrum stand, auf die Handlungsart des Bösen (im Sinne des „Wie“ des Bösen). Was ist es, was im Menschen dazu führt, das Böse auszuüben? Als eine erste Option bieten sich die menschlichen Neigungen und Triebe an. Aber auch diese Erklärung verwirft Augustinus. Für ihn steht fest, „daß nichts anderes den Geist zum Genossen der Begierde macht als der eigene Wille und die freie Entscheidung.“ (105) Auch kann das Böse nicht in Gegenständen (wie etwa Gift) liegen, von denen der Mensch Gebrauch macht: „Es ist völlig klar, daß nicht die Dinge selbst zu beschuldigen sind, sondern die Menschen, die sie schlecht gebrauchen.“ (123) Es ist also der Gebrauch der Dinge, der für eine gute oder schlechte Handlung ausschlaggebend ist. Die Verantwortung für das Böse trägt jedes einzelne Individuum selbst. Wie ist ein solcher schlechter Gebrauch der Dinge näher zu verstehen? An dieser Stelle zeigt sich, dass Augustinus zwischen einer Privations- und einer Perversionstheorie des Bösen schwankt, denn das Böse besteht in der Aktivität der Hin- oder Abwendung angesichts einer universellen Ordnung des Guten: „das Böse ist seine Abkehr (aversio) vom unwandelbaren Gut und seine Hinkehr (conversio) zu den veränderlichen Gütern (mutabilia bona).“ (203) Diese Abkehr im Bösen zeigt, dass Augustinus Ansätze einer Perversionstheorie vertritt. Damit ist jedoch die Frage nach dem Grund des Bösen nur verschoben. Denn woher kommt der Grund der Abkehr vom Guten? Hier zeigt sich, dass Augustinus auch einer Privationstheorie das Wort redet: „Jene Bewegung der Abkehr, die wir Sünde genannt haben, ist eine Bewegung zum Mangel, aller Mangel aber stammt vom Nichts.“ (205)