Gut und Böse: Bestimmung eines Verhältnisses

Das Verhältnis von Gut und Böse ist überaus komplex. Wir können es auf verschiedene Art und Weise verstehen:

  • Das Böse kann etwa als das (logische) kontradiktorische Gegenteil des Guten gefasst werden (Kontradiktionsthese)
  • Das Böse kann als (ontologische) Privation, d.h. Beraubung des Guten verstanden werden (Privationsthese)
  • Das Böse kann als (volitionale) Perversion, d.h. willentliche Umkehrung bzw. Verkehrung des Guten verstanden werden (Perversionsthese)

Gegen (1) spricht, dass einem solchen Verhältnis ein Dualismus zugrunde liegt, der das normative Verhältnis beider Relata und die Asymmetrie, die zwischen Gut und Böse herrscht, nicht näher bestimmen kann. Für (2) spricht, dass damit die normative Asymmetrie zwischen Gut und Böse berücksichtigt wird. Dagegen spricht, dass die faktische Realität des Bösen und seine Zurechenbarkeit dadurch zu wenig berücksichtigt wird. Für (3) spricht, dass das Böse dabei wie das Gute unserer individuellen Freiheit zugerechnet werden kann. Dagegen spricht, dass dadurch nicht klar wird, warum wir uns gerade für das Böse entscheiden sollten, wenn wir uns doch genauso gut für das Gute entscheiden könnten.

Auch können wir uns fragen, wer oder was eigentlich gut oder böse ist:

  • Kollektive Personen, Staaten und Gemeinschaften (Kollektivitätsthese)
  • Individuelle Personen oder Menschen (Personalitätsthese)
  • Handlungen (Aktivitätsthese)
  • Der Wille (Volitionalitätsthese)
  • Deterministische Umstände (Determinismusthese)

Gegen (1) spricht, dass kollektive Personen hinsichtlich ihrer Handlungsweise und Willensbildung nur schwer zu bestimmen sind. Nicht alle ihre Mitglieder sind gleichermaßen in die kollektiven Entscheidungen mit eingebunden und daher verantwortlich. Auch stellt sich die Frage, wie das Verhältnis der Zurechenbarkeit von kollektiven und individuellen Personen geartet ist. Gegen (2) spricht, dass wir damit Menschen generell und essentialistisch abstempeln und ihnen die Möglichkeit einer Wandlung absprechen könnten. Für (3) spricht, dass wir das Gute oder Böse vor allem an Handlungen dingfestmachen können, da beide dadurch Realität erhalten. Gegen (3) spricht, dass man einer Handlung nicht direkt ansehen kann, ob sie gut oder böse ist. Wir können uns einen Fall vorstellen, in welchem eine Person A den Tod einer Person B auf grausame Weise herbeiführt, doch diesen grausamen Tod gar nicht intendiert hatte, er vielmehr ein Versehen war. Hier stellt sich die Frage, ob eine Handlung immer auch dasjenige intendieren muss, was sich durch sie ereignet. Für (4) spricht, dass wir hier eine eindeutige Zuschreibung des Guten oder Bösen vornehmen können. Gegen (4) spricht, dass ein bloßer guter Wille noch nichts wirklich Gutes hervorbringt. Von Erich Kästner stammt der Ausspruch: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“. Wir scheinen für das Gute und Böse immer eine Realität zu verlangen, die mehr ist als ein bloßer Wille, sofern er nicht irgendwann zu einer Handlung führt. Auf der anderen Seite liegt bereits im Begriff des Willens, dass er auf die Realisierung in einer Handlung gerichtet ist. Allerdings hängen wir bei der Realisierung unserer Handlung von äußeren Umständen ab, die wir nicht immer in unserer Hand haben. Wir können uns etwa einen Fall denken, in welchem eine böse Handlung durch Zufall unterblieb, weil etwa Umstände eintraten, die diese Handlung in letzter Sekunde verunmöglicht haben. Für (5) spricht, dass wir uns immer in gewissen Umständen befinden, die für das Gute oder Böse ausschlaggebend sein können. Dagegen spricht, dass uns solche Umstände nur schwer zugerechnet werden können. Das Gute und Böse scheint daher direkt am Übergang von Wille und Handlung beheimatet zu sein und die Einheit von Wille und Handlung vorauszusetzen.